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2 / 2024 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 15
NEUE MITGLIEDER KLASSE II – LEBENSWISSENSCHAFTEN
Die neuen Mitglieder der Klasse II – Lebenswissenschaften , die 2023 in die Leopoldina aufgenommen wurden ( v . l . n . r .) gemeinsam mit Leopoldina-Präsident Gerald Haug ML ( Mitte / mit Amtskette ): Eric Warrant ML , Tobias Erb ML , Petra Dersch ML , Helmut Grubmüller ML , Tanja Stadler ML , Nico Eisenhauer ML , Annette Oxenius ML , Christian Wolfrum ML , Christa Müller ML , Mikael Simons ML , Christoph Plass ML , Maria-Elena Torres-Padilla ML , Andrea Musacchio ML , Karl-Josef Dietz ML und Martin Beck ML .
Foto : Markus Scholz | Leopoldina

„ Ohne Kohlenstoff geht es nicht “

Leopoldina-Mitglied und Leibniz-Preisträger 2024 Tobias Erb über Defossilierung statt Dekarbonisierung
Kann „ Kohlendioxid als Rohstoffquelle der Zukunft “ genutzt werden ? Dieser Frage ging Leopoldina-Mitglied Tobias Erb ML zur öffentlichen Vorlesung im Rahmen des diesjährigen Life Science Symposiums der Klasse II nach . Der Direktor am Max-Planck- Institut für terrestrische Mikrobiologie ( Marburg ) folgt der Idee , Kohlenstoff direkt aus CO2 zu gewinnen . Im Interview skizziert er seine Überlegung , dass es eher um eine Defossilierung als eine Dekarbonisierung von Ökonomie und Gesellschaft gehen müsse .
Warum ist das Treibhausgas Kohlendioxid aus Ihrer Sicht eine Rohstoffquelle der Zukunft ? Tobias Erb : Das Leben der Menschheit , sei es die Ernährung oder die sie umgebenden Materialien , basiert auf Kohlenstoff . Ohne Kohlenstoff geht es nicht . Wir werden uns folglich als Gesellschaft nicht dekarbonisieren können , aber wir werden uns defossilieren müssen . Das ist ein wichtiger Unterschied . Die große Vision ist es , den Kohlenstoff direkt aus CO2 zu gewinnen und nicht aus Erdöl , um so eine
Tobias Erb .
Foto : Chris Kettner
CO2-basierte nachhaltige Ökonomie aufzubauen . Die synthetische Biologie kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten .
Was kann sie bieten ? Erb : Die Natur kann schon jetzt im Großmaßstab CO2 über Photosynthese einfangen . Sie macht das aber – aus menschlicher Sicht – sehr ineffizient und über ein kompliziertes Produkt , nämlich die Biomasse . Der Ansatz unserer Arbeitsgruppe war , diesen Prozess der CO2-Umwandlung radikal neu zu den- ken und effizienter zu gestalten . Die synthetische Biologie eröffnet dabei neue Möglichkeiten , die die Evolution bislang nicht probiert hat .
Sie überrumpeln damit die Evolution ... Erb : Wir denken immer , die Evolution ist sehr kreativ . Tatsächlich ist sie aber limitiert , denn in den meisten Fällen bleibt sie bei dem , was sie mal erfunden hat , und versucht es lediglich zu optimieren . Evolution gelingt so selten Innovation . In der synthetischen Biologie haben wir es dagegen sehr einfach : Ich kann einen Prozess wie die Photosynthese komplett neu aufsetzen . Dieser Aspekt , etwas Neues zu entwickeln , was die Natur nicht erfunden hat , und dies anschließend in einem lebenden Organismus wie etwa eine Zelle zu testen , ist das Prinzip unserer Forschung .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE BENJAMIN HAERDLE
Zum ausführlichen Interview