8 1 / 2025 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER
„ Denken können Hirnorganoide nicht “
Leopoldina-Mitglied Jürgen Knoblich spricht zur Abendvorlesung der Klasse II – Lebenswissenschaften
Weltweite Bekanntheit erlangte Jürgen Knoblich ML durch die erstmalige Etablierung eines Hirnorganoids in vitro . Zum Symposium der Klasse II – Lebenswissenschaften spricht der Molekularbiologe , seit 2024 Mitglied der Leopoldina , in der öffentlichen Abendvorlesung über seine Forschung .
Sie haben mit Ihrer Arbeit an Hirnorganoiden einen völlig neuen Ansatz in der Erforschung des menschlichen Gehirns etabliert . Worum geht es dabei ? Jürgen Knoblich : Eine große Limitation in der pharmazeutischen und biologischen Wissenschaft ist es , dass fast alle Forschung an Tieren geschieht . Aber unser Gehirn ist nicht einfach nur eine aufgeblasene Version eines Mausgehirns .
In den letzten Jahren haben neue Methoden die biomedizinische Forschung völlig revolutioniert . Wir können Patientinnen und Patienten Blutstammzellen entnehmen , eine sogenannte Reprogrammierung durchführen und daraus Muskelzellen herstellen , einzelne Nervenzellen , aber auch ganze Gewebe . Uns ist es gelungen , aus diesen Zellen sogenannte Gehirnorganoide zu machen – dreidimensionale Gewebekulturen , die in ihrem Aufbau und auch zum Teil in ihrer Funktion einem fötalen menschlichen Gehirn entsprechen .
Diese erbsengroßen Organoide werden oft als „ Mini-Gehirne “ bezeichnet . Finden Sie das eine glückliche Bezeichnung ? Knoblich : Wir mögen diesen Begriff überhaupt nicht . Denken kann ein Organoid nicht .
Sie wollen also das Gehirn verstehen , aber auch Krankheiten behandeln ? Knoblich : Wir wollen vor allem Krankheiten verstehen ! Zum Beispiel haben wir die tuberöse Sklerose – eine schreckliche Form von Epilepsie – im Organoid modelliert und festgestellt , dass ein bestimmter Vorläufer-Zelltyp , den es nur beim Menschen gibt , dafür verantwortlich ist .
Jürgen Knoblich .
Foto : Luiza Puiu
Wenn mit dem menschlichen Gehirn experimentiert wird , auch wenn es nur einzelne Zellen sind , wirft das natürlich sofort ethische Fragen auf . Knoblich : Zunächst einmal : Die Forschung zu Organoiden hat positive ethische Folgen . Dank ihnen müssen wir ja weniger Experimente am lebenden Gehirn machen . Und sie sind eine gute Ergänzung zu Tierversuchen . Ein Grund für die Befürchtungen sind übertriebene Aussagen von Forschenden , die zum Beispiel den Organoiden Intelligenz zugeschrieben haben . Hans Schöler als Mitglied der Leopoldina und ich wurden von der
ABENDVORLESUNG
Am Mittwoch , 9 . April , um 18.45 Uhr wird Jürgen Knoblich ML die öffentliche Leopoldina-Vorlesung anlässlich des Symposiums der Klasse II – Lebenswissenschaften halten . Am Institut für Molekulare Biotechnologie ( IMBA ) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften forscht er zur menschlichen Gehirnentwicklung . Zerebrale Organoide sind auch Thema seines englischsprachigen Vortrages .
Leopoldina-Vorlesung
Leopoldina beauftragt , diese ethischen Fragen in einer Arbeitsgruppe und Stellungnahme zu untersuchen . Wir hatten extrem interessante Diskussionen mit Philosophen , Rechtswissenschaftlern und Neurobiologen .
Was ist dabei herausgekommen ? Knoblich : Wir haben drei Fragen diskutiert : Erstens , sind Organoide schützenswert ? Wir sind zu dem Schluss gekommen : Nein , sie haben keine schützenswerten Eigenschaften . Zweitens : Können sie Schmerz empfinden ? Dazu gibt es im Augenblick keinen Hinweis . Und drittens : Können Organoide Bewusstsein entwickeln ? Und da ist die einhellige Meinung , dass das nicht möglich ist .
Und wo liegen die ethischen Grenzen in der Forschung mit Hirnorganoiden ? Knoblich : Eine Grenze wäre zum Beispiel da erreicht , wenn jemand einem Affen eine große Zahl von Organoiden einpflanzen würde , sodass dessen Gehirn zu 30 , 40 Prozent aus menschlichen Zellen besteht . Das verstieße gegen das Tierschutzgesetz und ist auch in der internationalen Gemeinschaft der Stammzellforschung geächtet .
Sie haben ja in dieser Arbeitsgruppe schon für die Leopoldina gearbeitet , bevor Sie in die Akademie gewählt wurden . Wie kam es dazu ? Knoblich : Ich bin einer der wenigen , die zuerst mit der Arbeit für die Leopoldina angefangen haben und dann zum Mitglied gewählt wurden . Ich hatte als Erster einen Artikel über die Ethik von Organoiden geschrieben , daher hat mich Hans Schöler eingeladen . Ich war sehr beeindruckt von der Breite , in der man dort den Diskurs über verschiedene Wissenschaftsgebiete hinweg führen kann . Und als ich dann in die Akademie gewählt wurde , war das natürlich eine große Ehre .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH DRÖSSER