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6 1 / 2025 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„ Wissenschaft – und ich ?!“ Gesprächseindrücke vom Marktplatz

Artikelserie „ Politikberatung im Spannungsfeld von Wissenschaft , Politik und Medien “ ( Teil 9 )
Wissenschaft im direkten Gespräch , auf dem Marktplatz und im öffentlichen Raum , zu zweit oder in kleiner Gruppe , die globalen Herausforderungen und Krisen genauso im Blick wie Probleme und Konflikte im persönlichen , lokalen oder regionalen Umfeld : Mit diesem neuen Format werden Bürgerinnen und Bürger seit Juni 2024 zum Austausch über Wissenschaft eingeladen . Seither haben solche Gespräche in enger Kooperation mit Hochschulen und weiteren wissenschaftlichen Partnern wie der Leopoldina oder der Alexander von Humboldt- Stiftung in Zwickau , Brandenburg an der Havel , Gera , Wetzlar , Recklinghausen und Halle ( Saale ) stattgefunden .
VON LEA ROSA HOLTMANN * UND CHRISTOPH MARKSCHIES *

Anfang letzten Jahres setzten wir uns in einer gemeinsamen Runde mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft ( DFG ) und der Hochschulrektorenkonferenz ( HRK ) zusammen und sprachen darüber , wie man noch direkter mit Menschen ins Gespräch darüber kommen könne , dass Wissenschaft Vertrauen verdient , aber auch Sorgen und Ängste der Bevölkerung und die immer weiter verbreitete Wissenschaftsskepsis ernst nimmt . Bald hatten wir uns verständigt , mit Kolleginnen und Kollegen einfach auf Marktplätze zu gehen und zum Gespräch auf Augenhöhe einzuladen .

Was geschieht , wenn es regnet ?
Selbstverständlich gab es Herausforderungen : Was passiert , wenn wir auf Unverständnis , Ablehnung oder gar auf Protest stoßen ? Und was geschieht eigentlich , wenn es regnet ? Vieles haben wir erst vor Ort gelernt , beispielsweise , dass man sehr viele Menschen in Gespräche über Wissenschaft verwickeln kann , wenn man ihnen gratis Kaffee und
Kuchen anbietet . Von Anfang an war klar , dass man Gespräche mit Menschen , die Sorgen oder Angst vor der Zukunft haben , oder die der Wissenschaft aufgrund von Fake News und Propaganda misstrauen , nur auf Augenhöhe führen kann . Belehrung von oben herab hilft nicht . Deswegen haben wir die Gespräche sorgfältig mit den Geschäftsstellen vorbereitet und vor dem Samstagvormittag auf den Marktplätzen noch einen gemeinsamen Freitagabend verbracht .
Im Laufe des Samstags wurden auch die eher Vorsichtigen unter uns nach den ersten erfolgreichen Gesprächen immer munterer und eiferten denen nach , die einfach Passantinnen und Passanten zu Gesprächen über Wissenschaft bei Kaffee und Kuchen einluden . Viele hatten aussagekräftige Objekte aus ihrer wissenschaftlichen Praxis dabei , aber auch ein Krankenhausmodell diente als Einstieg für viele Gespräche über neuere Entwicklungen in Medizin und Gesundheitsvorsorge .
Auf neugierige Menschen treffen
Obwohl Sicherheitspersonal im Hintergrund war und es Verabredungen zum Abbruch schwieriger Unterhaltungen gab , fanden auch Gespräche mit Klimaleugnern und Impfskeptikern , die es in Ost wie West gab , in ruhiger Atmosphäre statt . Die Sorge , wir könnten auf den Marktplätzen in harte Auseinandersetzungen geraten oder sogar bedroht werden , hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet .
Der Normalfall waren neugierige Menschen , die Fragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt , zu den Folgen der Migration , zur Energiewende , zur Entstehung und Bekämpfung bestimmter Krankheiten stellten , zum Umgang mit den Folgen von 40 Jahren DDR oder Firmenzusammenbrüchen im Westen und vielem anderen mehr .
Uns beschäftigt aber weiter , dass viele Menschen in den Gesprächen auf den Marktplätzen sich nicht nur Sorgen um ihre eigene Zukunft machen , sondern regelrecht durch Angst vor weiteren Krisen geprägt sind und der Politik eine Lösung dieser multiplen Krisen nicht mehr zutrauen . Wissenschaft kann solche Zukunftssorgen und Ängste ein Stück weit lindern und beruhigen , allerdings nur in längeren , geduldigen Gesprächen auf besagter Augenhöhe .
Den Blick und den Horizont weiten
Insofern ist der Einsatz gegen Wissenschaftsskepsis und mangelndes Vertrauen personal- und kostenintensiv und verlangt Geduld . Wir werden deswegen dieses Format fortführen . Außerdem lernen alle , die von Seiten der Wissenschaft teilnehmen , sehr viel – sie gehen aus gewohnten Strukturen und etablierten Kommunikationsformen in das Experiment eines Gesprächs , das in vielfacher Hinsicht offen ist . Aber so weitet man den eigenen Blick und letztlich eben auch den ( wissenschaftlichen ) Horizont .
* Christoph Markschies ist Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ( BBAW ), evangelischer Theologe und Professor für Antikes Christentum an der Humboldt- Universität zu Berlin . Lea Rosa Holtmann arbeitet als Referentin für Gesellschafts- und Politikberatung für die Akademienunion . „ Wissenschaft – und ich ?! Bürgerinnen und Bürger im Austausch über Wissenschaft “ ist eine Veranstaltungsreihe , die von der DFG , der BBAW , der HRK und der Akademienunion ins Leben gerufen wurde und die nun mit der Inititative „ Wissenschaft im Dialog “ verstetigt wird .
„ Wissenschaft – und ich ?!“