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1 / 2024 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 9

„ Quantenphänomene ähneln Erfahrungen aus dem normalen Leben “

Zur Urkundenübergabe der Klasse I sprach Leopoldina-Mitglied und Physiker Gerd Leuchs
Gerd Leuchs ist seit 2005 Mitglied der Leopoldina und forscht seit 2009 am Max- Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen . Im Februar hielt der Physiker die öffentliche Leopoldina-Vorlesung der Klasse I über „ Quantenwissenschaften und Quantentechnologien “. Im Gespräch schildert er , wie er Quantenphysik vermittelt und was ihn mit der Leopoldina verbindet .
Die physikalischen Gesetze der Quantenwelt widersprechen oft unserer Alltagserfahrung . Wie erklären Sie diese Welt Ihrem Publikum ? Gerd Leuchs : In vielerlei Hinsicht ähneln die Quantenphänomene Erfahrungen aus dem normalen Leben . So geht es viel um die Überlagerung von Wellen unterschiedlicher Frequenzen , die wir zum Beispiel auch bei Wasserwellen erleben . Aber in der Quantenwelt ergibt eine Messung nur eine dieser Frequenzen . Früher hat man das den „ Kollaps der Wellenfunktion “ genannt , heute spricht man eher von einer Projektion .
Damit können aber viele Zuhörerinnen und Zuhörer nicht viel anfangen . Leuchs : Deshalb verwende ich bei öffentlichen Vorträgen augenzwinkernd einen Vergleich , der vielleicht ein bisschen hilft : Sie kennen doch diese Bilder , bei denen das Gehirn hin und her schalten kann – mal sieht man zwei Gesichter , dann eine Vase . Das Bild enthält beide Motive , aber wenn ich hinschaue , reduziere ich es auf eins von beiden .
Was Laien häufig am meisten Kopfschmerzen bereitet , ist die Verschränkung von zwei Teilchen : Auch wenn die weit voneinander entfernt sind , beeinflusst die Messung an einem der Teilchen das zweite . Leuchs : Da kann ich wieder nur mit einem Vergleich antworten : Wenn ich
Gerd Leuchs .
Foto : Stephan Spangenberg
weiß , dass Sie immer eine rote und eine blaue Socke tragen , und ich sehe eine von denen , dann kann ich die andere vorhersagen . Die Quantenphysik geht jedoch weiter , das ist im Detail schwer zu verstehen – aber letztlich verstehen wir doch auch die Schwerkraft nicht . Wieso ziehen zwei weit entfernte Massen einander an ? Wir sind nur mehr daran gewöhnt .
Quantenphänomene sollen zunehmend praktisch eingesetzt werden . Können Sie dafür Beispiele geben ? Leuchs : Es wird viel vom Quantencomputer gesprochen , aber den gibt es bisher nur als Vorstufe . Am weitesten ist man bei den Gravitationswellen – die Laserdetektoren dafür erreichen ihre maximale , fast unvorstellbare Genauigkeit erst auf Quantenbasis und haben schon eine Reihe fantastischer Ergebnisse gebracht .
Sie forschen auch über Quantenkommunikation . Worum geht es dabei ? Leuchs : Quantenkommunikation macht die Verschlüsselung von Daten sicherer . Wenn zwei Menschen mit verschlüsselten Nachrichten kommunizieren , müssen sie irgendwie dafür sorgen , dass sie den gleichen Schlüssel besitzen .
Heute basieren die meisten Verfahren darauf , dass es schwer ist , große Zahlen in ihre Faktoren zu zerlegen . Wenn ich aber Quantensignale hin und her schicke , kann ich sofort feststellen , ob jemand das Signal abgefangen hat – weil man in der Quantenphysik keine Messung machen kann , ohne das System zu verändern .
Aber dazu müssen beim Empfänger dieselben Photonen ankommen , die der Sender abgeschickt hat . Geht das über die heute üblichen Glasfaserkabel ? Leuchs : Ja , wenn der Abstand nicht zu groß ist . Sonst braucht man sogenannte Quanten-Repeater , und die gibt es im Glasfasernetz noch nicht .
Sie sind schon fast 20 Jahre Mitglied der Leopoldina . Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Akademie ? Leuchs : Meine Erinnerungen gehen sogar noch weiter zurück . Mitte der 1980er Jahre wurde mein Doktorvater , Herbert Walther , Leopoldina-Mitglied . Die Akademie , damals in der DDR angesiedelt , war eine der wenigen gesamtdeutschen Einrichtungen . Eine Klammer der Wissenschaft über den Eisernen Vorhang hinweg .
Welche Bedeutung hat die Mitgliedschaft in der Leopoldina für Sie ? Leuchs : Wenn ich eine Firma gegründet hätte , dann könnte ich meinen Erfolg mit dem Gewinn messen . In der Wissenschaft misst sich der Erfolg an Zitationen oder Preisen . Und die Mitgliedschaft in der Leopoldina ist eine hohe Auszeichnung . Was ich besonders schätze : Man trifft andere Mitglieder , gestandene Forschende aus ganz verschiedenen Fachbereichen und kann so über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinausschauen .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH DROESSER