Leopoldina aktuell 3_2022 | Page 9

3 / 2022 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 9

„ Ihnen zeigen , dass sie erwünscht sind “

Ute Frevert , Mitglied des Leopoldina-Präsidiums , im Gespräch zu „ Frauen in der Wissenschaft “
Soeben hat die Leopoldina die Stellungnahme „ Frauen in der Wissenschaft : Entwicklungen und Empfehlungen “ veröffentlicht . Sprecherin der verantwortlichen Arbeitsgruppe ist Ute Frevert ML , Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin . Das wissenschaftliche Interesse der Historikerin gilt schon seit Längerem der Konstruktion und Deutung von Geschlechterdifferenzen .
Nach gründlicher Sichtung der Statistiken wird in der Stellungnahme eine nach wie vor „ eklatante Unterrepräsentanz “ von Frauen im deutschen Wissenschaftssystem diagnostiziert . Wo zeigt sich das besonders deutlich ? Ute Frevert : Es zeigt sich bereits bei den Postdocs , denn nach der Promotion suchen sich Frauen sehr viel häufiger als Männer einen Job außerhalb der Wissenschaft . Es setzt sich bei den Habilitationen fort und ist am markantesten bei den Professuren der höchsten Besoldungsstufe sowie bei den Direktorenposten in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen .
Haben die Zahlen Sie überrascht ? Frevert : Einerseits ja , denn die Forderung , diese Missverhältnisse zu beenden , liegt ja schon sehr lange auf dem Tisch . Und seit etwa 20 Jahren bewegen sich auch die akademischen Institutionen . Aber sie bewegen sich eben nur langsam und auf Druck , es gibt Rückschritte und Barrieren , die ich zur Genüge kenne – weshalb ich nicht überrascht bin .
Welches sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Gründe dafür ? Frevert : Die Vorstellung , Wissenschaft sei männlich , nistet schon sehr lange in den Köpfen , und nicht nur in denen von Männern . Aber selbst Frauen , die Wissenschaft als Beruf betreiben wollen , werden sehr oft strukturell und habituell ausgebremst . Männliche Direktoren und Lehrstuhlinhaber ziehen männliche Kronprin-
Ute Frevert ist Sprecherin der Arbeitsgruppe „ Gendergerechte Wissenschaft “ und Mitglied des Präsidiums der Leopoldina .
. Foto : Andreas Reeg
zen heran ; um sich zu behaupten , müssen Frauen sehr durchsetzungsfähig sein , was nicht allen zusagt . Ehrgeiz ist immer noch eine Tugend , die eher Männern ziemt und bei Frauen unangenehm auffällt .
In den Geistes- und Sozialwissenschaften , aber auch in der Medizin sind Frauen bis zur Promotion stark vertreten . Was kann man tun , um sie der Wissenschaft zu erhalten ? Welches sind die wichtigsten Empfehlungen ? Frevert : Man soll begabte und qualifizierte Frauen zu einer wissenschaftlichen Karriere ermutigen , sie beraten und fördern . Man soll ihnen zeigen , dass sie erwünscht sind , dass man stolz auf sie ist . Man soll Strukturen und Arbeitsbedingungen schaffen , die sich Frauen ( aber auch viele Männer ) wünschen : kooperativ , unhierarchisch , zeitlich flexibel und ohne Sexismus . Man soll ihnen ( und natürlich nicht nur ihnen ) verlässliche Perspektiven bieten ; das ist gerade in der Postdoc-Phase , die oft mit Familiengründung einhergeht , besonders wichtig . Man soll Frauen in Führungspositionen unterstützen und sichtbar machen .
Wie kann man mehr Studentinnen für die MINT-Fächer begeistern , in denen die Ausgangslage ungünstiger ist ? Frevert : Vor allem durch weibliche
Rollenvorbilder . Wenn es in einem Fach kaum Professorinnen gibt , zieht das Studentinnen nicht unbedingt an . Erfahrungsgemäß braucht es eine Vertretung von etwa 30 Prozent , damit sich „ Minderheiten “ entfalten können . Man sollte zudem Studiengänge entwickeln , die dem bei vielen Frauen stark ausgeprägten Bedürfnis nach „ Sinn “ entgegenkommen . Ein Studiengang „ Physik des Klimawandels “ wäre in dieser Hinsicht attraktiver als einer , der schlicht „ Physik “ heißt .
Die Stellungnahme beginnt mit einem deutlichen Bekenntnis zur Diversität als Erfolgsfaktor für die Wissenschaften . Sie betonen , dass diese Aussage nicht „ binär “ zu verstehen sei , greifen das Thema geschlechtliche Identität jedoch später nicht mehr auf . Warum ? Frevert : Wir wissen noch sehr wenig über die Diskriminierungen , die nicht-binäre Personen im Wissenschaftssystem erfahren – und nur darum geht es ja hier . Auch über die Zahlen herrscht Ungewissheit . Deshalb haben wir das Thema nicht weiterverfolgt , sondern uns auf die Großgruppe „ Frauen “ konzentriert .
Was macht Ihnen persönlich Hoffnung , dass in Zukunft mehr Frauen Karriere in der Forschung machen werden ? Frevert : Wissenschaftliches Arbeiten ist etwas Wunderbares , Erfüllendes . Je mehr Frauen dort erfolgreich sind und ihre Begeisterung für Wissenschaft weitergeben , desto größer wird die Resonanz sein . Aber wir müssen höllisch aufpassen , dass das Momentum erhalten bleibt . Dafür brauchen wir , immer noch und immer wieder , politischen Druck . Von alleine bewegt sich das Wissenschaftssystem , zumindest in diesem Bereich , leider viel zu selten .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE ADELHEID MÜLLER-LISSNER
Stellungnahme „ Frauen in der Wissenschaft “