Leopoldina aktuell 3_2022 | Page 10

10 3 / 2022 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„ Wissenschaft muss die richtige Art von Kommunikation und Beratung finden “

Artikelserie über Politikberatung im Spannungsfeld von Wissenschaft , Politik und Medien ( Teil 3 )
Die Coronavirus-Pandemie hat zu einer Ausnahmesituation geführt . Zu den besonderen Herausforderungen gehörte es , Desinformation und falschem Framing zu begegnen . Eine wichtige Konsequenz für Forscherinnen und Forscher sollte sein : Wissenschaft muss sich mehr in die Lösung gesellschaftlicher Probleme einbringen .
VON MICHAEL HALLEK ML *
„ Wissenschaft muss lernen , klar und in allgemeinverständlicher Sprache zu kommunizieren . Sie muss die Prinzipien ihres Vorgehens aufzeigen und verteidigen .“

Aus Sicht der Wissenschaft brachte die Coronavirus-Pandemie neue Herausforderungen – im Bereich der Forschung ebenso wie bei der Kommunikation und Politikberatung . Drei Faktoren kamen in dieser beispiellosen Situation zusammen : ( a ) Ein schnelles , hochdynamisches , mit Unsicherheiten behaftetes Geschehen traf ( b ) vielerorts auf Gesellschaften , die durch veränderte Mediennutzung anfällig für Falschinformationen sind und in denen ( c ) bereits vor der Pandemie ein Wiedererstarken populistischer , nationalistischer Bewegungen zu beobachten war , deren Prinzip es ist , mit Desinformation gezielt Ängste zu verstärken oder auszulösen .

In einer derart komplexen Situation wird die Bewältigung nationaler bzw . internationaler Krisen zur Herausforderung . Es ist eine relevante Aufgabe der Wissenschaft , dann die richtige Art der Kommunikation und Beratung zu finden .
Mein verstärktes persönliches Engagement setzte im Winter 2020 / 21 ein , als ich auf der Intensivstation der von mir geleiteten Klinik realisierte , dass immer mehr Schwerstkranke an Beatmungsmaschinen um ihr Leben rangen und die Situation außer Kontrolle zu geraten drohte . Zu der Zeit starben in Deutschland binnen eines halben Jahres etwa 90.000 Menschen an COVID-19 . Im wissenschaftlichmedizinischen Freundes- und Bekanntenkreis tauschten wir uns darüber aus und beschlossen , konstruktive Vorschläge zu unterbreiten . Unsere No-COVID-Initiative erarbeitete praktische Handlungsoptionen im Sinne einer nachhaltigen Öffnungsstrategie unter Einsatz aller Mittel einer demokratischen Zivilgesellschaft .
Gegenwind erhielten unsere Vorschläge durch ein bewusst falsches Framing in einem Teil der Medien als freiheitsfeindliche Maßnahmen . In Talkshows wurden Gäste mit ( semi- ) wissenschaftlichem Background eingeladen , deren Behauptungen über No-COVID ein Faktencheck leicht hätte widerlegen können . Es entstand eine False Balance , eine unausgewogene Darstellung . Das ließ die Politik zögern , den einfachen , klaren , wissensbasierten Ansatz konsequent umzusetzen .
Dennoch hatte unser Engagement positive Wirkung . So wurden die von uns Anfang 2021 entwickelten inzidenzbasierten Stufenpläne für das Pandemiemanagement von vielen Parteien oder Landesregierungen in abgewandelter Form übernommen und ersetzten weitgehend das Prinzip des „ Fahrens auf Sicht “. Zu Erfolgen führte im November 2021 auch ein Aufruf aus der Wissenschaft und Medizin an die Politik , nach der Bundestagswahl den Wahlkampf hinter sich zu lassen und sich verstärkt um die Pandemie zu kümmern . Einige der
Michael Hallek Mitglied der Leopoldina
Foto : M . Wodak | MFK
Forderungen , etwa die Einrichtung eines legitimierten Expertenrats der Bundesregierung , wurden in der Folge umgesetzt .
Was können wir für die Zukunft lernen ? Ich bin überzeugt : Wissenschaft muss sich mehr einbringen in die Lösung gesellschaftlicher Probleme . Rückzug ist keine Option . Sie muss lernen zu kommunizieren – klar und in allgemeinverständlicher Sprache . Sie sollte die Prinzipien ihres hypothesengeleiteten Vorgehens aufzeigen , verteidigen und dabei deutlich machen , dass das Eingestehen eines wissenschaftlichen Irrtums ein Zeichen von Qualität und Ehrlichkeit ist , nicht von Schwäche .
In dieser Kommunikationsarbeit ist es zudem wichtig , die Prinzipien der säkularen , aufgeklärten Gesellschaft herauszustellen und damit Eigenschaften und Werte wie Demut , Wahrheit , Mitgefühl mit anderen Menschen und Lebewesen und Freiheit ( aber nicht nur die eigene ). Nur so können wir dazu beitragen , die demokratische , pluralistische Gesellschaftsidee des Europas der Gegenwart zu sichern .
* Michael Hallek ist Direktor der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln und Direktor des Centrums für Integrierte Onkologie CIO Köln . Im Jahr 2011 wurde er Mitglied der Leopoldina .