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3 / 2023 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 17

„ Nicht den Amerikanern hinterherhecheln “

Leopoldina-Mitglied Bernhard Schölkopf hält am 7 . Dezember die traditionelle Weihnachtsvorlesung
Mit Leopoldina-Mitglied Bernhard Schölkopf hält in diesem Jahr ein Forscher die Weihnachtsvorlesung an der Leopoldina , der weltweit führend auf dem Gebiet des maschinellen Lernens ist . Im Interview spricht der Direktor am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen über neuronale Netze und Supermächte der KI .
Vor etwa zehn Jahren begann mit dem maschinellen Lernen eine neue Ära der künstlichen Intelligenz ( KI ). Oft werden die neuronalen Netze , mit denen diese realisiert wird , mit dem menschlichen Gehirn verglichen . Aber ein Kind lernt an drei Beispielen , was eine Katze ist , ein neuronales Netz braucht Millionen Katzen ... Bernhard Schölkopf : Diese Verfahren sind sehr gut , wenn man über riesige Datenmengen und leistungsfähige Rechner verfügt . Aber während sie bei jedem Problem von vorn anfangen , reichen uns Menschen ein paar Katzen-Beispiele , weil wir vielleicht schon gelernt haben , wie man Hunde erkennt und wie sich das Aussehen eines Hundes unter verschiedenen Perspektiven und Lichtverhältnissen verändert . Wir haben noch nicht wirklich verstanden , wie wir das für Computer umsetzen können .
Computerverfahren lernen , indem sie statistische Korrelationen entdecken . Aber eine Korrelation zwischen zwei Größen begründet noch keine Kausalität . Sie interessieren sich dafür , wie man Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in Daten erkennen kann ? Schölkopf : Mit Daten allein ist das unmöglich . Aber es geht , wenn man in ein System intervenieren kann – dann kann ich sozusagen an einer Größe wackeln und schauen , wie sich die andere verändert . Ist das nicht möglich , kann es auch reichen , dass sich Objekte oder Bedingungen von selbst verändern . Mein Team hat das auf das Problem der Entdeckung von Exoplaneten angewandt , und wir ha-
Bernhard Schölkopf .
Foto : Markus Scholz | Leopoldina
KYBERNETISCHE REVOLUTION
Zur Leopoldina-Weihnachtsvorlesung am Donnerstag , 7 . Dezember , spricht der Physiker , Mathematiker und Informatiker Bernhard Schölkopf ML über „ Die kybernetische Revolution “. Der Vortrag diskutiert die Entwicklung und Erfolge der Methoden des maschinellen Lernens , thematisiert aber auch grundlegende Probleme , und fragt , wie diese Probleme mit einem fehlenden kausalen Verständnis von Daten zusammenhängen .
Weihnachtsvorlesung
ben in den Daten des Kepler-Teleskops tatsächlich eine Reihe solcher Planeten entdeckt .
Seit einem Jahr macht die Software ChatGPT Schlagzeilen . Ist das jetzt die Zukunft der KI ? Schölkopf : Auf der einen Seite ist es absolut faszinierend , wie gut diese Systeme funktionieren . Weil es fast so ist , als würde man mit einem Menschen chatten , schreiben wir den Systemen dann Eigenschaften zu , die sie nicht haben . Es besteht die Gefahr , dass man denkt , damit sei das Problem gelöst und wir verstehen nun , wie Intelligenz funktioniert .
Das Training dieser Systeme kostet Milliarden , und nur noch wenige große
Firmen , allesamt in den USA , können sich das leisten . Hat Europa gegen diese Supermächte der KI überhaupt noch eine Chance ? Schölkopf : Ich sehe da drei Möglichkeiten . Erstens : Man fängt selbst bei Null an – aber die dafür erforderliche Rechenleistung hat eine Universität oder selbst ein Max-Planck-Institut nicht . Zweitens : Man versucht , ein existierendes Modell per Feintuning für bestimmte Probleme zu verbessern . Und drittens : Man verwendet einfach nur das Interface zu Open AI oder Google . Wir sollten aber nicht nur den Amerikanern hinterherhecheln , sondern dafür sorgen , dass zukünftige Innovation auch in Europa geschieht .
Das ist wohl auch ein Gedanke hinter dem Cyber Valley , das Sie in Tübingen mitgegründet haben ? Schölkopf : Früher haben die besten Absolventinnen und Absolventen unserer Hochschulen meist eine wissenschaftliche Karriere angestrebt . Heute wollen viele in eines der Top-Industrielabors gehen . Wenn man als Standort wirklich attraktiv sein will , braucht man einen Mix aus akademischer Forschung , Industrielabors und Start-ups . Das soll das Cyber Valley leisten .
Es gibt zugleich die europäische Ebene – und hier ist im Sommer unter Ihrer Leitung das ELLIS-Institut in Tübingen an den Start gegangen . Schölkopf : Es gibt ja in Europa auch andere tolle Standorte , etwa um Cambridge herum und an der ETH Zürich . Wir wollen die Standorte sinnvoll vernetzen , etwa indem Doktorandinnen und Doktoranden Betreuer in zwei verschiedenen Ländern haben . Ein solches Ökosystem wäre ein Bonus , den man in Amerika nicht in der gleichen Form bekommen kann . Und unsere Studierenden sind sicher nicht schlechter als die amerikanischen .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH DROESSER