Leopoldina aktuell_3 2023 | Page 12

12 3 / 2023 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

Unterschiedliche Rollen in der Wissenschaftskommunikation reflektieren

Artikelserie „ Politikberatung im Spannungsfeld von Wissenschaft , Politik und Medien “ ( Teil 5 )
In einer zunehmend komplexen Welt wächst der Bedarf an wissenschaftlicher Expertise zu allen gesellschaftlichen und politischen Themen . Hierzu zählen die Pandemie und ihre Folgen , seit Langem der Klimawandel und ganz aktuell damit verbunden die Energiewende .
VON CAROLINE WICHMANN *

Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Gesellschaftsberatung sind längst in die Leitmedien und Talkshows vorgedrungen und werden mitunter noch intensiver in den sozialen Medien diskutiert . Das ist richtig so , denn auf diese Weise können ihre Erkenntnisse insbesondere in Krisensituationen in öffentlichen Debatten und bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden . Die Wissenschaft liefert Erkenntnisse und kann der Politik darauf basierende Handlungsoptionen aufzeigen . Aber sie ist nicht die einzige Stimme , die sich einbringt , sondern eine neben zahlreichen anderen gesellschaftlichen Akteuren .

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußern sich immer häufiger in Medien , um dem Bedarf an Beratung nachzukommen . Von ihnen werden dabei fundierte Fakten und Erkenntnisse erwartet , aber auch Ratschläge und Meinungen abgefragt . Ihre Expertise soll dazu beitragen , einen aufgeklärten Diskurs über wichtige Themen unserer Gesellschaft zu sichern . Doch äußern sich Fachleute , riskieren sie – ob berechtigt oder unberechtigt –, kritisiert und sogar angefeindet zu werden . Das zeigt , dass Expertise in fachlichen Fragen allein oft nicht reicht , damit Wissenschaftskommunikation gelingt .
Um einen transparenten Beitrag zu öffentlichen Debatten zu leisten , hilft es , sich vorab nicht nur mit den möglichen Fragestellungen und Interpretationen des Gegenübers auseinanderzusetzen , sondern auch mit den verschiedenen Rollen ,
Forschende sind auch im öffentlichen Diskurs gefragt – wie hier Leopoldina-Mitglied Antje Boetius beim Journalistenkolleg zum Thema „ Klimaforschung “ .
Foto : Hannes von der Fecht l AWI die Forscherinnen und Forscher im Dialog einnehmen können .
Genuine Aufgabe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es , Forschungswissen im eigenen Fachgebiet zu generieren und zu veröffentlichen ( Stufe 1 ). Diese Fakten und Erkenntnisse lassen sich im nächsten Schritt interpretieren ( Stufe 2 ). Dies erfolgt im Austausch mit Fachkolleginnen und -kollegen , aber auch über die Vermittlung an die Öffentlichkeit . Engagieren sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darüber hinaus in der wissenschaftsbasierten Politikberatung , zeigen sie verschiedene Handlungsoptionen auf , die auf Forschungswissen beruhen ( Stufe 3 ). In diesem Fall arbeiten in der Regel Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam daran , ihre Erkenntnisse zur Beantwortung gesellschaftlicher Fragen zusammenzuführen . Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern überdies Empfehlungen oder Präferenzen für eine der Handlungsoptionen erkennen lassen oder abgeben ( Stufe 4 ), bewegt sich der Diskursbeitrag weg von der Faktenbasis , hin zu einer Meinungsäußerung ( Stufe 5 ). Dies ist erst recht der Fall , wenn sich Äußerungen nicht mehr auf das eigene Fachgebiet beziehen ( Stufe 6 ). Hier unterscheiden sich Aussagen nicht von denen anderer gesellschaft- licher Akteure , die ihre Meinung öffentlich zu einem Thema beitragen .
Der Übergang zwischen den Stufen ist fließend , und je weiter sich Aussagen von fundierten Fakten entfernen und hin zu Meinungen entwickeln , desto angreifbarer werden die Äußerungen im gesellschaftlichen Austausch . Das Rollenmodell zeigt , dass sich einerseits Forscher selbst immer darüber bewusst sein müssen und anderen transparent machen sollten , in welcher Rolle sie sich äußern . Andererseits sollten auch Journalisten oder Moderatoren diese unterschiedlichen Rollen berücksichtigen und sie ihrem Publikum vermitteln . Dies beugt Missverständnissen vor , ermöglicht eine differenziertere Kritik und trägt zu einem transparenteren und nachvollziehbaren gesellschaftlichen Dialog bei .
* Caroline Wichmann leitet seit 2009 die Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Leopoldina . 2020 , 2015 und 2011 wurde sie zur Forschungssprecherin des Jahres gewählt . Der Artikel erschien am 13 . Juli 2023 in der Wochenzeitung DIE ZEIT .
Regeln für den Umgang mit Interessenkonflikten ( 2021 )
Wiener Thesen ( 2023 )