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konkretisieren , was eigentlich unter dem geforderten „ minimalen Risiko “ und unter „ minimaler Belastung “ durch eine klinische Studie für vulnerable Gruppen zu verstehen ist . Gibt es bereits Ideen für diese Konkretisierung ? Pfister : Die Abwägung von Risiken und Nutzen ist in der Medizin unser tägliches Brot . In der Deklaration wird jedoch bisher die Schwere der Erkrankung gar nicht berücksichtigt . Die Unterscheidung zwischen leichteren Erkrankungen und Krankheiten , die bei einem Kind unbehandelt tödlich verlaufen , erscheint uns aber als extrem wichtig . Wiesing : Bei Behandlungen machen wir diese Unterscheidung , sie sollte in der Forschung ebenfalls gelten . Pfister : Zumal gerade in der Kinderonkologie fast alle Therapien im Rahmen von klinischen Studien stattfinden . Heute werden 70 bis 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Krebserkrankungen schon in der Erstlinientherapie im Rahmen von Studien behandelt . Eine strikte Unterscheidung zwischen Therapie und Forschung ist also gar nicht möglich .
Das sogenannte Subsidiaritätsprinzip , nach dem Kinder und Jugendliche erst nach der Erprobung an ausreichend vielen Erwachsenen Zugang zu einer neuen Therapie bekommen können , wird in verschiedenen Ländern , selbst innerhalb der Europäischen Union ( EU ), nach unserem Eindruck zudem sehr unterschiedlich interpretiert .
Wie sieht es bei nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen aus ? Auch sie gelten ja als verletzliche Gruppe . Wiesing : Ja , und deshalb soll nach dem Prinzip der Subsidiarität die Erforschung von neuen Interventionen zunächst an nicht-vulnerablen Personen erfolgen . Aber was bedeutet das de facto ? Praktisch kann es zu Verzögerungen bei der Verfügbarkeit neuer Behandlungen führen , und wir sollten dann überlegen , wie wir diesen Zeitraum ethisch akzeptabel verkleinern können .
Im Unterschied zu Heranwachsenden ist zudem bei erwachsenen nicht Einwilligungsfähigen ein Gruppennutzen der Forschung als Kriterium für die Zulässig- keit ausgeschlossen , etwa bei Studien mit Demenzkranken . Möglicherweise hätten einige von ihnen sich aber in gesunden Tagen gewünscht , anderen Betroffenen durch ihre Teilnahme an der Forschung zu helfen . Pfister : Aus der pädiatrischen Forschung wissen wir , dass 95 Prozent der Familien sich wünschen , dass die Studien , an denen ihr Kind teilnimmt , auch anderen Kindern nützen , häufig sogar dann , wenn davon auszugehen ist , dass das aktuell betroffene Kind nur eine kleine Chance hat , davon zu profitieren . Wiesing : Es erscheint uns als wichtig , genau anzuschauen , wie sich die unterschiedlichen Regelungen praktisch auswirken . Wir stehen hier aber noch am Anfang der Diskussion .
Welche Impulse erwarten Sie von der internationalen Tagung „ Research with vulnerable people “ im Mai ? Pfister : Wir möchten besser verstehen , wie die für alle geltende Deklaration von Helsinki und das Set von Regularien der EU , darunter die Clinical Trial Regulation und die Datenschutzverordnung , in den Ländern zu unterschiedlichen Auslegungen führen . Gerade in der Kinderheilkunde stellen wir immer wieder fest , dass Studien , die in Ländern wie Frankreich , Italien , den Niederlanden , in Großbritannien und Skandinavien als unproblematisch angesehen werden , es in Deutschland sehr viel schwerer haben und länger brauchen , behördliche Genehmigungen zu bekommen . An welchen Stellschrauben kann man hier drehen ? Es geht also nicht nur um das Regelwerk , sondern auch um dessen Interpretation und Umsetzung . Wiesing : Mit der Tagung wollen wir die Arbeit verschiedener Akteure am Thema zusammenführen . Die Aufgabe der Leopoldina sehen wir darin , auf der Grundlage guter Daten und einer differenzierten Betrachtung begründete Empfehlungen zu erarbeiten .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE ADELHEID MÜLLER-LISSNER
Konferenz „ Research with vulnerable people “
NEUESTE ERKENNTNISSE ZUR CAR-T-ZELLTHERAPIE
Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der CAR-T-Zell-Therapie kommen am 8 ./ 9 . April zu einem internationalen Symposium an der Leopoldina zusammen . Dabei geht es um neueste Erkenntnisse und Implikationen von CAR-basierten Therapien ( chimäre Antigenrezeptoren ) jenseits der gängigen Anwendung bei Tumoren .
Foto : Keith Chambers | Science Photo Library
Lange galten CAR-T-Zellen als letzte Hoffnung in der Krebstherapie . Die T-Zellen von Erkrankten werden hierbei so
verändert , dass Tumorzellen gezielt erkannt und eliminiert werden . Bei diesen Zellen handelt es sich um spezifische Immunzellen , die aus dem Blut der Patientin oder des Patienten entnommen werden . Im Labor werden diese T-Zellen genetisch so modifiziert , dass sie diejenigen Immunzellen ( B-Zellen ) gezielt ausschalten können , die auch Organe angreifen . Die modifizierten T-Zellen werden anschließend durch eine Infusion wieder in den Körper eingebracht .
Mittlerweile wird die Therapie auch bei Autoimmunerkrankungen , Infektionskrankheiten und in jüngerer Zeit bei Erkrankungen wie kardialer Fibrose und zellulärer Seneszenz eingesetzt . Die Vorstellung und Diskussion aktueller Therapieansätze sind Kern des Symposiums , das von dem Immunologen Georg Schett ML und dem Hämatologen Andreas Mackensen koordiniert wird . ■ STB
Diskussion „ CAR-T-Zelltherapie bei nicht-malignen Erkrankungen “