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1 / 2023 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 9

Kommunikation in Zeiten der multiplen Krise

Joint Academy Day mit Österreichischer Akademie der Wissenschaften
AUS DER DISKUSSION
Christoph M . Schmidt ML : „ Wir kommunizieren die Grenzen unserer Erkenntnis nicht hinreichend , nennen mögliche Fehlerquellen nicht hinreichend stark und fragen uns nicht hart genug , was wir erkennen können und was uns verschlossen bleibt . Die Kommunikation muss dem Prinzip ‚ so einfach wie möglich , so komplex wie nötig ‘ folgen , aber das durchzuhalten , ist herausfordernd : Es ist schwer , sich einfach auszudrücken und trotzdem präzise zu sein .“
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften lud gemeinsam mit der Leopoldina zum Joint Academy Day nach Wien ein .
Fotos : Hinterramskogler | ÖAW , Grafik : ÖAW
Die Debatte über die Rolle der Wissenschaft in der demokratischen Meinungsund Willensbildung geht nach dem Abflauen der Coronavirus-Pandemie weiter . Im Fokus der Öffentlichkeit stehende Wissenschaftseinrichtungen wie die Nationalakademien Österreichs und Deutschlands müssen diese Diskussion mitgestalten . Der Joint Academy Day zum Thema „ Wissenschaftskommunikation in Zeiten der multiplen Krise “ setzte am 1 . Februar in Wien einen deutlichen Akzent .

Wissenschaft sollte die Politik so umfassend wie nötig informieren , aber so wenig wie möglich legitimieren “, lautet einer der Kernaussagen der „ Wiener Thesen zur wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft “, welche die Österreichische Akademie der Wissenschaften ( ÖAW ) und die Leopoldina für den Joint Academy Day als Diskussionsgrundlage gemeinsam vorbereitet hatten .

Die Trennung zwischen Beraten und Entscheiden stellten die beiden Akademiepräsidenten Heinz Faßmann und Gerald Haug ML in ihren Redebeiträgen klar als Basis ihrer Beratungsaktivitäten heraus . Ansonsten würden die von politischen Einzelinteressen unabhängigen Akademien das weiterhin große Vertrauen in die Wissenschaft gefährden . Dieses Vertrauen werde in einer Gesellschaft immer wichtiger , die einerseits nach faktenbasierter Orientierung suche , andererseits der Wissenschaft teilweise skeptisch gegenüberstehe .
Wie die Wissenschaft ihren Handlungsspielraum für die Kommunikation mit der Gesellschaft konkret nutzen sollte , war die Leitfrage der Podiumsdiskussion auf dem Joint Academy Day , an der unter anderem die Leopoldina-Mitglieder Michael Hallek ML und Christoph M . Schmidt ML teilnahmen . Differenzierung lautete ein Stichwort , das in der Diskussion häufig fiel : Auch die Akademien seien gut beraten , wenn sie für die Zielgruppen , zu denen sie den besten Zugang hätten , spezifische Formate entwickelten und besonders relevante Inhalte identifizierten . ■ ART
Wiener Thesen
Ricarda Winkelmann : „ Wissen muss allen zugänglich sein , nicht nur die Veröffentlichungen , auch die Daten , Methoden und wissenschaftlichen Ansätze , die dahinterstecken . Wir müssen auch die Grenzen unseres Wissens mitkommunizieren und einordnen . Und wir müssen Zeit neu denken – besonders die Klimakrise fordert längerfristiges Denken : Das kollektive Handeln der nächsten Jahre hat das Potential , das Gesicht der Erde über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende zu verändern .“
Michael Hallek ML : „ Wir müssen als Wissenschaftler mehr kommunizieren , nicht weniger . Und wir müssen so kommunizieren , dass man uns versteht und uns für glaubwürdig hält . Das ist trivial , aber es ist – auch in der Coronavirus-Pandemie – häufig misslungen . Wir sollten auch versuchen , nicht selbst zur ‚ False Balance ‘ beizutragen . Damit meine ich , dass man als Wissenschaftler nur über die Dinge spricht , von denen man wirklich etwas versteht .“