Leopoldina aktuell 1_2022 | Page 5

1 / 2022 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 5
Antje Boetius ML
Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts , Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung , in Bremerhaven .
Foto : Esther Horvath | Alfred-Wegener-Institut
Boetius : Bestimmte Bereiche der Ozeane und Polarregionen sind unsere Leitindikatoren für das Risiko , vor dem wir stehen . An ihnen lässt sich beobachten , dass der Klimawandel schon da ist und bereits erhebliche Konsequenzen in der Natur und für das menschliche Leben hat . Die beiden am stärksten reagierenden Indikatoren sind die Bleiche der Korallenriffe und der Rückgang des Meereises der Arktis . Weltweit ist mehr als die Hälfte der tropischen Korallenriffe durch Erwärmung , Versauerung und Übernutzung beschädigt . Das Meereis der Arktis reagiert ebenfalls enorm sensitiv auf Erwärmung durch Treibhausgasemissionen . Mit ihm schwindet nicht nur der Lebensraum
Thomas Mettenleiter ML
Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts , Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit , Greifswald , auf der Insel Riems .
Foto : Wolfram Maginot | FLI
vieler Arten , etwa von großen Meeressäugern , sondern es gehen auch wichtige Funktionen im Erdsystem verloren .
Sie beide kennen die internationale Politikberatung durch die Mitarbeit an früheren Stellungnahmen . Werden die Empfehlungen der Wissenschaft beherzigt ? Boetius : Die Themen , die wir als Akademien bei solchen Gipfeln setzen , werden durchaus aufgegriffen . Die bewusst knapp formulierten Stellungnahmen helfen , die Dringlichkeit von Themen aufzuzeigen , und sie unterstützen die Regierenden dabei , die Zukunft auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis zu meis-
tern . Es geht Schritt für Schritt voran . Grundsätzlich dürfte die Politik aber schneller und mutiger sein . Mettenleiter : Ich teile die Erfahrung , dass sich etwas bewegen lässt . Dass zum Beispiel das Thema „ One Health “ nun auf internationaler Ebene in Form eines Gremiums verankert ist , geht auf eine deutsch-französische Politikinitiative zurück . Das von der Weltgesundheitsorganisation und weiteren globalen Organisationen gegründete „ One Health High Level Expert Panel “ hat im Mai 2021 erstmals getagt und ist wichtig , um das Thema voranzubringen . Grundsätzlich erwarte ich aber nicht , dass unsere Empfehlungen eins zu eins umgesetzt werden . Die Wissenschaft berät evidenzbasiert , entscheiden muss die Politik . Boetius : Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler formulieren wir bei Klima- und Naturschutz oft aus der langfristigen und globalen Perspektive heraus Notwendigkeiten . In der Gesellschaft geht es aber meist um kurzfristigere lokale oder nationale Faktoren , die die Politik eher im Blick hat . Derzeit wird aus meiner Sicht zu viel Verantwortung auf die individuelle Ebene übertragen . Gerade beim Klima- und Naturschutz – aber wie uns die Pandemie lehrt auch bei Gesundheit – bedarf es des großen politischen Rahmens und vor allem viel mehr internationaler Zusammenarbeit .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE ANNE BRÜNING
SCIENCE 7 DIALOGUE FORUM ERARBEITET STELLUNGNAHMEN FÜR G7-GIPFEL
Am 1 . Januar hat Deutschland den Vorsitz der Gruppe der sieben führenden Industrieländer ( G7 ) übernommen . Damit ist es Gastgeber des G7-Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs vom 26 . bis 28 . Juni auf Schloss Elmau . Die G7-Wissenschaftsakademien erarbeiten bereits seit mehr als 15 Jahren gemeinsame Stellungnahmen zu ausgewählten Themen der Gipfelagenda . Als Nationale Akademie wurde die Leopoldina von der Bundesregierung zum zweiten Mal nach 2015 mit der Federführung der Wissenschaftsberatung im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft , dem Science7- Prozess ( S7 ), mandatiert . Als thematische Schwerpunkte hat die Leopoldina die Auswirkungen des Klimawandels auf Polarregionen und Ozeane sowie konkrete Maßnahmen zur Beschleunigung der Dekarbonisierung von Wirtschaft und Energiesystemen gesetzt . Weitere Themen sind die Entwicklung von antiviralen Medikamenten zur Pandemievorsorge sowie globale Gesundheitsherausforderungen , die durch Zoonosen und antimikrobielle Resistenzen entstehen .
Die gemeinsamen Stellungnahmen werden von Mitgliedern der Leopoldina und international renommierten Expertinnen und Experten erarbeitet und auf dem Arbeitstreffen der G7-Akademien vom 4 . und 5 . April finalisiert . Die Übergabe der Empfehlungen an die Bundesregierung erfolgt zur G7-Wissenschaftskonferenz am 31 . Mai / 1 . Juni 2022 in Berlin .
■ KK , CHW
G7-Politikberatung Science 7 Dialogue Forum