Leopoldina aktuell 2_2021 | Page 6

6 2 / 2021 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„ Ringen um angemessenen Umgang mit menschlichen Embryonen “

Gastbeitrag von Leopoldina-Mitglied Jochen Taupitz und Medizinethikerin Claudia Wiesemann
Unter dem Titel „ Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland “ haben die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Wissenschaftsakademien eine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet .
Grafik : PINO NOA – Pia Bublies & Nora Coenenberg , Hamburg
Die Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften haben die Stellungnahme „ Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland “ erstellt . Damit möchten die Wissenschaftsakademien eine umfassende Wissensgrundlage und wissenschaftsbasierte Empfehlungen vorlegen , um die in Deutschland gebotene Neubewertung des rechtlich zulässigen und ethisch vertretbaren Umgangs mit frühen menschlichen Embryonen außerhalb des Körpers anzustoßen .
VON JOCHEN TAUPITZ ML * UND CLAUDIA WIESEMANN *

Vor über 30 Jahren ist das Embryonenschutzgesetz ( ESchG ) in Kraft getreten . Es soll Missbräuchen der Fortpflanzungsmedizin und Humangenetik entgegenwirken und verbietet vor diesem Hintergrund jedwede Forschung mit Embryonen in vitro . Allerdings wurde schon in der forschungspolitischen Diskussion vor Inkrafttreten des ESchG betont , dass die Verbotsnormen des Gesetzes kein unumstößliches Dogma darstellen , sondern vielmehr den Veränderungen unterworfen sind , die sich aus den gewandelten Wertvorstellungen der Gesellschaft und dem Fortschritt der Wissenschaft ergeben können . „ Auch Gesetze werden auf Dauer nicht verhindern , dass sich verändernde Wertvorstellungen innerhalb der Gesellschaft uns einmal dazu führen können , die Ablehnung der Embryonenforschung zu überdenken “, so der damalige Vorsitzende der Enquete-Kommission „ Chancen und Risiken der Gentechnologie “ Wolf-Michael Catenhusen .

In der Tat ist die Zeit mehr als reif für eine erneute Diskussion über die Zulässigkeit der Forschung an Embryonen für hochrangige Forschungsziele . Denn es gibt eine Reihe wichtiger Fragen , die wissenschaftlich nur mit Hilfe der Embryonenforschung bearbeitet werden können . Neben Grundfragen der Embryonalentwicklung und der frühen Krankheitsentstehung kann diese Art der Forschung auch bei der Beantwortung wichtiger Fragen der Fortpflanzungsmedizin helfen . Sie kann dazu beitragen , Unfruchtbarkeit besser behandeln zu können , die Überlebensfähigkeit und gesunde Entwicklung von Embryonen bzw . Föten in der Schwangerschaft zu verbessern und Frühgeburten zu verhindern .
Es gibt in Deutschland eine Vielzahl von Embryonen , die im Rahmen einer fortpflanzungsmedizinischen Behandlung entstanden sind , aber nicht mehr verwendet werden , zumeist weil die Familienplanung der betreffenden Paare abgeschlossen ist . Diese sogenannten überzähligen Embryonen können bis-