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3 / 2022 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 5
sundheit . Hinter dem Satz steht die Botschaft , dass wir alle aufeinander aufpassen und füreinander sorgen sollten . Und damit ist er eine wunderbare Kurzformel , um unsere Weltgemeinschaft zusammenzubringen .
Gleich die erste Sitzung der Jahresversammlung widmet sich den sozialen Determinanten von Gesundheit . Spiegelt das die Bedeutung wider ? Wieler : Soziale Determinanten wie Arbeitslosigkeit , Bildung , Lebensumfeld , aber auch unterstützende Freundeskreise oder andere Netzwerke tragen entscheidend zum Gesundheitsverhalten bei . Das hat sich in der Coronavirus-Pandemie bestätigt . In Deutschland hatten Menschen mit geringem Bildungsgrad ein doppelt so hohes Infektionsrisiko wie Menschen mit hoher Bildung . Und in der zweiten Pandemiephase war die Sterblichkeit in einkommensarmen Regionen 1,5 Mal höher als in wohlhabenden Regionen . Das zeigt , dass wir die Lebensverhältnisse angleichen müssen . Global Health hat zum Ziel , soziale , ökonomische und umweltbedingte Risiken für die Gesundheit abzubauen – auf nationaler und internationaler Ebene .
Wo fängt man da an ? Wieler : Eine wichtige Voraussetzung sind internationale Regeln . Völkerrechtliche Verträge wie das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs müsste es in weiteren Bereichen geben . Um Gesundheitsrisiken abzubauen , müssten Auswirkungen auf die Gesundheit überdies in allen Politikfeldern berücksichtigt werden . „ Health in all policies “ heißt dieser Ansatz , der politische Entscheidungen unter den Vorbehalt stellt , ob sie auch der Gesundheit dienlich sind .
Im Eröffnungsvortrag der Jahresversammlung werden Sie auf die Lehren der COVID-19-Pandemie für die globale Gesundheit eingehen . Welche sind das ? Wieler : Zwei Erkenntnisse finde ich besonders wichtig : Zum einen hat sich im internationalen Vergleich gezeigt , dass gute , stabile politische Führung , die bei
Lothar H . Wieler ML
Präsident des Robert Koch-Instituts und kommissarischer Leiter der Leopoldina- Sektion Global Health , die zusammen mit der Sektion Veterinärmedizin das Programm der Jahresversammlung 2022 konzipiert und vorbereitet hat .
Foto : J . Reetz , Brauer Fotos | RKI
der Bevölkerung Vertrauensvorschuss genießt , essenziell für die Bewältigung derartiger Krisen ist . Instabile oder gar korrupte Systeme scheitern eher daran .
Die zweite Lehre ist , dass wir nicht nur ein exzellentes Krankheitsversorgungssystem brauchen , sondern auch ein exzellentes öffentliches Gesundheitswesen , also Public Health . Auch hierzulande ist es erforderlich , endlich umzudenken und den Bereich Public Health und den Präventionsgedanken zu stärken – etwa durch Vermittlung von Wissen über Infektionsschutz . Viel wichtiger aber noch ist es , Risikofaktoren für chronisch-degenerative Krankheiten zu vermitteln , damit die Menschen sich besser schützen können . Überhaupt muss mehr getan werden , um Menschen zu befähigen , sich gesundheitsförderlich zu verhalten und zu ernähren . Hier haben die Lebensverhältnisse eine große Bedeutung .
Hat die Pandemie der Global-Health- Idee mehr Aufmerksamkeit verschafft ? Wieler : Pandemien steigern die Aufmerksamkeit für globale Zusammenhänge und Abhängigkeiten . Das hat sich auch schon bei der Ebola-Pandemie in den Jahren 2014 / 15 gezeigt , die in Deutsch- land beispielsweise dazu führte , dass erstmals eine Strategie für globale Gesundheit entwickelt wurde . Bemühungen um globale Gesundheit dürfen sich unter keinen Umständen auf Infektionskrankheiten beschränken . Denn die Aufgaben sind viel umfassender . Die Hauptkrankheitslast sind ja chronisch-degenerative Krankheiten wie Krebs , Herz-Kreislauf- Erkrankungen oder Diabetes . Politik reagiert zu oft nur auf akute Krisen , aber wir Wissenschaftler sollten objektiv die Ursachen der gesamten Krankheitslast langfristig und strategisch in den Blick nehmen .
Sie leiten kommissarisch die 2020 gegründete Sektion Global Health der Leopoldina . Wie entwickelt sich diese ? Wieler : Die Sektion steht noch am Anfang und hat bisher weniger als zehn Mitglieder . Bei der Organisation der Jahresversammlung hat uns die Sektion Veterinärmedizin unterstützt . Und so konnten wir ein breit gefächertes , international besetztes Programm zusammenstellen . Vielleicht bringt die Tagung weitere Leopoldina-Mitglieder dazu , sich uns anzuschließen . Außerdem setzen wir auf die Zuwahl exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bereichen , die für Global Health wichtig sind , etwa Gesundheitsökonomie , Gesundheitsgerechtigkeit und psychische Gesundheit . Denn die Besonderheit unserer Sektion ist , dass sie fächerübergreifend ist .
Welche Pläne gibt es noch ? Wieler : Wir wollen gemeinsam mit anderen Nationalakademien Workshops organisieren . Und da das Thema „ Global Health “ zunehmend auch von politischer Seite als zentral angesehen wird , werden wir gewiss in Arbeitsgruppen an entsprechenden Stellungnahmen mitarbeiten . Wenn wir das interdisziplinäre Potenzial der Leopoldina bestmöglich nutzen , profitiert letztendlich unsere gesamte Gesellschaft am meisten davon .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE ANNE BRÜNING
Jahresversammlung „ Global Health “