2 / 2023 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 5
freundliches Wachstum schaffen . Dies zu erklären , ist die große Herausforderung .
Wir machen mit dem Papier auf dringende Handlungsbedarfe aufmerksam . In einigen Bereichen rennt uns die Zeit weg , etwa beim Ausbau erneuerbarer Energien und der Energienetze oder beim Zubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke . Wenn Deutschland aus Atomkraft und Kohle aussteigt , braucht es einen rasanten Zubau erneuerbarer Energien und Gaskraftwerke , die dies abpuffern . Wir sprechen aber auch Themen an , die heute noch zu wenig im Fokus sind , deren Entwicklungen wir aber vorantreiben müssen – wie zum Beispiel Negativemissionstechnologien .
Und für Sie als Chemiker , Herr Schlögl ? Schlögl : Wichtig ist vor allem der unbedingte Wille zur Umsetzung . Die Verhandlungsprozesse gestalten sich für die aktuelle Regierung schwierig , weil jeder auf die eigene Profilierung achtet . Verloren geht dabei , dass für die Energiewende jetzt die richtige Infrastruktur entscheidend ist . Wir brauchen Gas , Wasserstoff und Stromleitungen und Standorte für Gaskraftwerke .
Das Diskussionspapier wurde Anfang März veröffentlicht , kurz vor der Klausurtagung des Bundeskabinetts in Meseberg . Haben die Empfehlungen Eingang gefunden in die Diskussionen ? Schlögl : Die Wirkung eines solchen zielgerichteten Strategiepapiers lässt sich nicht punktuell nachweisen . Es wirkt nur dann , wenn es die Akteure so bewegt , dass man es in der Öffentlichkeit nicht merkt . Manche Dinge , die in Meseberg beschlossen wurden , sind zumindest nicht im Widerspruch zu unseren Empfehlungen . Das ist schon mal ein großer Erfolg . Grimm : In Krisenzeiten wie diesen hat Politikberatung durchaus Einfluss . Ob die Pandemie , die Inflation oder geopolitische Unsicherheiten – als Wissenschaftlerin wird man sehr viel häufiger gefragt , weil die Politiker für sich den neuen Handlungsrahmen abstecken müssen und Orientierung suchen .
Setzt die Politik die Ratschläge aus der Wissenschaft auch um ? Schlögl : Die Politik nimmt unser Wissen zur Kenntnis und fragt auch danach . Allerdings verläuft der politische Aushandlungsprozess in ganz anderen Bahnen , da haben wir nichts zu suchen . Das macht aber nichts , denn wissenschaftliche Politikberatung hat nicht die Aufgabe , Entscheidungen für die Politik zu erarbeiten . Grimm : Wir leisten in der Wissenschaft eine Vorausschau , erarbeiten Szenarien und Handlungsoptionen , aber es dauert manchmal gefühlt ewig , bis die Dinge in Politik und Gesellschaft ankommen . Gerade bei der Energietransformation sind viele Aspekte , die wir jetzt in unserem Papier empfehlen , in der Wissenschaft schon lange verbreitet . Mit der Rolle von Wasserstoff für das Energiesystem beschäftigen wir uns bereits seit Jahrzehnten . Früher hieß es , dies sei eine Wahnvorstellung , heute sind Wasserstoffstrategien weit verbreitet . Ähnliches gilt im Bereich der Klimaschutz- Instrumente für den Emissionshandel .
Fotos : Markus Scholz | Leopoldina , Sachverständigenrat Wirtschaft
Ist das nächste Diskussionspapier bereits in Vorbereitung ? Schlögl : Ja , wir werden ein Papier zum Thema Kohlenstoffkreisläufe erarbeiten . Wenn es fossile Kreisläufe irgendwann nicht mehr gibt , wird CO2 zum Wertstoff . Dafür müssen wir schon heute überlegen , wie Regeln und ökonomisch sinnvolle Rahmenbedingungen aussehen könnten und wie es um die Technologien steht .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE BENJAMIN HAERDLE
DISKUSSIONSPAPIER
Um in Deutschland und Europa die Pariser Klimaziele zu erreichen , muss das Energiesystem transformiert werden . Wichtig ist die Bereitstellung von Technologien , die dies auch weltweit ermöglichen . Der Handlungsbedarf ist groß , weil internationale Krisen wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Zielkonflikte verschärfen und die globale Kooperation erschweren . Das Leopoldina-Diskussionspapier „ Leitideen für die Transformation des Energiesystems “ erörtert Ansätze für eine effektive und tragfähige Energiewende . Die Transformationsstrategien sollten von den zu erreichenden Zielen her konzipiert werden , daher möglichst technologieoffen sein und so weit wie möglich die Attraktivität privater Investitionen in die Transformation erhöhen . Zentrale Faktoren dafür sind vor allem die Klärung sowie die Verlässlichkeit von Bedingungen für Investitionen . Parallel können Anreize und Vorgaben eine effizientere Energienutzung bewirken . Das Diskussionspapier formuliert sechs Leitideen : Die Klimapolitik sollte europäisch und ressortübergreifend gestaltet werden . Dafür sollte der europäische Emissionshandel als einheitlicher , transparenter , langfristig tragfähiger und alle Emissionen umfassender Steuerungsrahmen ausgebaut werden . Neben der drastischen Verminderung der Emissionen ist die Etablierung eines systemisches Kohlenstoffkreislaufmanagements entscheidend , um nicht vermeidbare Emissionen der Atmosphäre wieder zu entnehmen . Des Weiteren soll eine Wasserstoff- Energiewirtschaft aufgebaut und der dringend benötigte Wasserstoffimport ermöglicht werden . Als Leitidee wird zudem der entschiedene Netzausbau für stoffliche Energieträger und Strom formuliert . Zugleich muss in der Umstellungsphase die Rolle der Gaskraftwerke gestärkt werden .
■ RED
Diskussionspapier „ Transformation des Energiesystems “