Leopoldina aktuell 2_2022 | Page 14

14 2 / 2022 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER

„ Der Wunsch , nach dem Warum zu fragen “

Die Fotokünstlerin Herlinde Koelbl über die Ausstellung „ Faszination Wissenschaft “ an der Leopoldina
Die Fotografin und Dokumentarfilmerin Herlinde Koelbl ist eine der ganz Großen ihres Fachs , bekannt geworden durch Bildbände wie „ Das deutsche Wohnzimmer “ ( 1980 ). Nun macht ihre Ausstellung „ Faszination Wissenschaft “ vom 10 . Juni bis 11 . September Station bei der Leopoldina in Halle , zu deren Mitgliedern 22 der Porträtierten zählen .
Frau Koelbl , wie kamen Sie auf die Idee , Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu porträtieren ? Herlinde Koelbl : Ich hatte Vorträge gehört , in denen sich Wissenschaftler kurz fassen mussten . Dadurch mussten sie sehr schnell auf den Punkt kommen , und es war sehr spannend , ihnen zuzuhören . Außerdem hatte ich mich mit einigen Forschern angefreundet . So entstand die Idee zu den Porträts . Sehr schnell habe ich dann beschlossen , dass das ein internationales Projekt sein muss , dass möglichst viele naturwissenschaftliche Forschungsrichtungen und auch möglichst viele Frauen vertreten sein sollten , denn die Wissenschaft ist noch eine männlich dominierte Welt . Zum Projekt gehörte von Anfang an die Idee , auch Gespräche zu führen und Videoaufnahmen zu machen .
Haben die Frauen und Männer der Wissenschaft sich gern fotografieren lassen ? Koelbl : Es gab überhaupt kein Zögern ! Natürlich sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler völlig andere Menschen als Politiker . Die müssen extrovertiert sein , sie wollen und müssen an die Öffentlichkeit , man muss ihre Gesichter kennen , sie führen ein Leben fast wie im Schaufenster . Wissenschaftler sind dagegen eher Menschen , die für sich im Labor
Das Plakat zur Ausstellung zeigt das Porträt der Meeresforscherin Antje Boetius .
Foto : Herlinde Koelbl
arbeiten und die Öffentlichkeit hauptsächlich über ihre Publikationen suchen .
Möglicherweise hat zum Interesse am Projekt auch Ihre Idee beigetragen , die Hände mit ins Bild zu bringen ? Koelbl : Ja , ich hatte allen gesagt , sie sollten ihre Philosophie oder eine Formel auf die Hand schreiben . Und ich hatte sie gebeten , die Hand nah ans Gesicht zu halten . Somit sind das Porträt und die jeweilige „ Message “ nah beieinander . Weil ich keine Anweisungen dafür gegeben habe , haben alle angefangen zu spielen . Das fand ich schön : Ich glaube , ich habe da etwas angesprochen , was zur Forschung gehört , das Spielerische , Lebendige .
Ihre eigene Arbeit kann auch als eine Art Forschung verstanden werden – in
Bild und Wort . Gab es bei Ihnen jemals die Idee , selbst Wissenschaftlerin zu werden ? Koelbl : Nein , für mich war das eine neue , spannende Welt und deshalb eine Herausforderung . Ich habe mich intensiv auf die Gespräche vorbereitet und mich in die Materie eingelesen . Es gibt etwas , das mich als Künstlerin mit den Porträtierten verbindet , nämlich den Wunsch , immer wieder etwas Neues zu entdecken , immer wieder nach dem Warum zu fragen . Die Neugierde , mit der wir geboren werden , sollten wir uns erhalten . Wenn man nicht mehr neugierig wäre , wäre man tot .
„ Always be the best of yourself “ hat die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier sich auf die Hand geschrieben . Haben Sie diesen hohen Anspruch als Charakteristikum der Forscherinnen und Forscher erlebt ? Koelbl : Ich finde die Leidenschaft für das , was sie tun , bewundernswert . Dazu gehört eine ungeheure Beharrlichkeit , ohne die sie Fehlschläge nicht verarbeiten könnten . Selbstverständlich gibt es in der Wissenschaft auch Rivalität und Wettbewerb . Ansehen erwirbt man sich aber nicht über Geld , sondern darüber , wer als Erster seine Forschungsergebnisse in den besten Fachzeitschriften publiziert . Das ist die Währung . Von all diesen verschiedenen Facetten möchte ich in einem Foto möglichst viel erzählen . Eines meiner Ziele war es , Wissenschaft in der Gesellschaft sichtbar zu machen .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE ADELHEID MÜLLER-LISSNER
Ausstellung „ Faszination Wissenschaft “