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„ Ich muss die Akademie noch kennenlernen “

Leopoldina-Mitglied Ruth Ley stellt Mikrobiom-Forschung zum Life Science Symposium der Klasse II vor
Das zweite virtuelle Life Science Symposium am 21 . Juni ist die Gelegenheit für die Klasse II , sich auszutauschen und die 2020 Zugewählten kennenzulernen . Zu ihnen gehört Ruth Ley ML , die zum menschlichen Mikrobiom forscht .
Oft ist zu hören , 90 Prozent der Zellen in unserem Körper seien Bakterien . Ruth Ley : Das wird gern als griffige Aussage benutzt . Ich glaube , jemand hat das kürzlich mal nachgerechnet und ist zu einer kleineren Zahl gekommen . Aber selbst wenn es nur genauso viele wie unsere Körperzellen sind , haben sie 150- mal so viele Gene wie wir , auch wenn sie nur ein halbes bis ein Kilo wiegen .
Nun wird viel darüber gesprochen , wie das Mikrobiom die Gesundheit beeinflusst . Was ist Ihr Forschungsinteresse ? Ley : Wir sind eher daran interessiert , woher es kommt . Wie das Mikrobiom der Menschen sich an neue Bedingungen anpasste , als sie sich rund um den Globus ausbreiteten .
Wie viel vom Mikrobiom ist vererbt und wie viel ist erworben ? Ley : Ihr Umfeld ist wirklich wichtig , angefangen bei Ihren Eltern . Und bei einer bestimmten Gruppe von Mikroben beeinflusst die Genetik die relative Häufigkeit . Wir glauben , dass diese Mikroben eine besondere Rolle im Darm spielen .
Konkret interessieren Sie sich , wie das Mikrobiom Fettleibigkeit beeinflusst . Ley : Ich habe als Erste darauf hingewiesen , dass das Mikrobiom fettleibiger Menschen eine besondere Zusammensetzung hat . In letzter Zeit interessieren wir uns für ein Bakterium , das wir bei schlanken Menschen häufiger sehen . Wenn wir diese Mikroben Mäusen verabreichen , dann bewegen die sich mehr . Ich würde nicht sagen , dass diese Mikroben Fettleibigkeit verhindern , aber sie könnten dazu beitragen .
Ruth Ley ML
Die britische Mikrobiologin hat sich 2004 an der Washington School of Medicine in Seattle der Erforschung des
Mikrobioms zugewandt . Seit 2016 ist sie Direktorin am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen .
Foto : Jörg Abendroth | MPI für Entwicklungsbiologie
Könnte das zu einer Anti-Fettleibigkeits- Pille führen ? Ley : Ich denke , das wäre etwas , was man ständig einnehmen muss . Und es würde niemals für sich allein funktionieren , aber vielleicht als Teil eines Pakets zusammen mit Ernährung und einem aktiveren Lebensstil . In den USA sind heute 42 Prozent der Bevölkerung fettleibig – das ist eine öffentliche Gesundheitskrise . Es wäre toll , wenn das Mikrobiom zur Lösung beitragen könnte .
Welchen Einfluss haben Antibiotika ? Ley : Wenn Sie einmal Antibiotika nehmen , hat das keinen großen Langzeiteffekt . Aber man sollte es nicht regelmäßig tun . Eine weitere Gefahr ist , dass das Mikrobiom als Reservoir für Antibiotikaresistenz-Gene fungieren könnte , die dann an Krankheitserreger weitergegeben werden , die den Darm passieren .
Als Sie 2020 den Otto-Bayer-Preis erhielten , sagten Sie , dies könnte die Mikrobiomforschung mehr in den Main- stream der Wissenschaft bringen . Ley : Viele glauben , dass das Urteil noch aussteht , ob die Forschung wirklich in therapeutische Ansätze zur Behandlung von Krankheiten einbezogen werden kann . Ich denke , wir stehen immer noch am Anfang dieser Entwicklung .
Was hat Sie dazu bewogen , nach Deutschland zu gehen ? Ley : Das stabile Forschungsbudget der Max-Planck-Gesellschaft . Hier hat man die Möglichkeit , einfach an dem zu arbeiten , was einen interessiert , ohne ständig neue Forschungsanträge schreiben zu müssen . Sich mit komplizierten , langfristigen Problemen zu beschäftigen – das ist schwierig , wenn man zum Beispiel von Forschungsmitteln der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH abhängt . Eine so privilegierte Position konnte ich nicht ablehnen .
Und was bedeutet die Wahl in die Leopoldina für Sie ? Ley : Oh , das war eine totale Überraschung , und ich fühle mich sehr geehrt . Ich muss die Akademie erst noch kennenlernen .
Durch die Coronavirus-Pandemie konnten Sie Ihre Aufnahmeurkunde nicht persönlich erhalten und das Symposium muss virtuell stattfinden ... Ley : Ja , das können die Deutschen sehr gut – diese Veranstaltungen , bei denen man ein gutes Glas Wein trinkt und sich zwanglos unterhält . Ich freue mich also darauf , die Menschen der Leopoldina persönlich zu treffen . Sich fachlich direkt auszutauschen , zufällige Begegnungen – darum geht es , auch wenn Wissenschaftler nach der Pandemie wahrscheinlich weniger reisen werden als zuvor .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTOPH DROESSER
Life Science Symposium