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NEUE MITGLIEDER KLASSE IV – GEISTES- , SOZIAL- UND VERHALTENSWISSENSCHAFTEN
Im vorigen November erhielten 2021 und 2022 zugewählte Mitglieder der Klasse IV – Geistes- , Sozial- und Verhaltenswissenschaften ihre Urkunden . Auf dem Foto Leopoldina-Präsident Gerald Haug ML ( Mitte ) mit den neuen Mitgliedern ( v . l . n . r .) Xuetao Li ML , Michèle Tertilt ML , Stephan Lewandowsky ML , Thomas Metzinger ML , Marietta Auer ML , Julia Fischer ML , Nicola Fuchs-Schündeln ML und Axel Ockenfels ML .
Foto : Markus Scholz | Leopoldina deren Berufen , denken Sie an die Pflege . Arbeitsbedingungen , Schichtarbeit , psychischer Stress belasten viele Menschen und ermöglichen es ihnen nicht , die Tätigkeiten bis zur Altersgrenze auszuüben . Wir schlagen hier ein präventives Vorgehen vor , mehr Gesundheitsschutz , mehr Wechsel in den Tätigkeiten in der Mitte des Erwerbslebens , unterstützt von Zeiten der Umschulung oder Weiterbildung .
Im Kapitel „ Demografie “ schlagen Sie vor , dass Arbeit im Lebenslauf flexibler verteilt wird . Warum ? Allmendinger : Wir leben heute viel länger als früher . Die Arbeitsbelastungen unterscheiden sich nach Tätigkeitsprofilen , die Gesundheit der Menschen unterscheidet sich auch . Ein einheitliches Rentenzugangsalter von 67 erscheint uns daher als unangemessen und behindert zudem Zeiten für Weiterbildung in der Mitte des Lebens , Zeiten für die Pflege von Eltern , Zeiten zum Schutz der eigenen Gesundheit , ehrenamtliches Engagement . Ein Beispiel : Ich habe keine Studierenden , die 40 oder älter sind , was in anderen Ländern gang und gäbe ist . Bei uns sagt man : Die Bildung amortisiert sich ja nicht mehr , weil man mit 67 aufhört .
Wir sehen auch , dass die junge Generation genau solche „ atmenden “ Lebensverläufe wünscht . Man will nicht 45 Jahre auf Erwerbsarbeit fixiert werden und dann 20 Jahre im Ruhestand erleben müssen , dass man Freunde verloren hat und die Kinder unbemerkt erwachsen wurden . Dieses Bewusstsein der Jungen für ein „ ganzes Leben “ bringt uns gesellschaftlich weiter , hat aber nichts mit einer Null-Bock-Generation zu tun . Im Gegenteil : Diese Menschen sind wahrscheinlich über den Lebensverlauf gesehen viel produktiver .
Voraussetzung für diesen Wandel ist Bildung , so die Stellungnahme , und dass Bildung nicht die notwendige Aufmerksamkeit der Politik erfährt . Wie realistisch ist es , dass Bildung so gestaltet wird , dass
GEMEINSAME STELLUNGNAHME
Die Stellungnahme ist ein gemeinsamer Beitrag der Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften unter Federführung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften . Sie wurde von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Leitung von Jutta Allmendinger ML , Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung WZB , erarbeitet .
Stellungnahme „ Zukunft der Arbeit “ die Transformation der Arbeit klappt ? Allmendinger : Wir brauchen für den Innovationsstandort Deutschland gut gebildete Menschen . Wir müssen daher alles daransetzen , die Bildungsarmut zu beseitigen , die Bildung von Migrantinnen und Migranten nutzen , schnell in deren Spracherwerb investieren und insgesamt viel mehr für die Weiterbildung tun . Menschen in Deutschland sind ja nicht dümmer als anderswo . Sie werden nur zu oft alleine gelassen .
In der Wirtschaft zählen Umsatz , Gewinn . Macht der Wandel zu einer Tätigkeitsgesellschaft denn auch die Wirtschaft zukunftsfähig ? Allmendinger : Natürlich . Wir legen ja kein Wohlfühlprogramm vor . Unser Modell zielt auf Nachhaltigkeit in den Erwerbsarbeits- und Lebensverläufen und reduziert damit auf mittlere und längere Sicht den Fachkräftemangel . Es reduziert die Frühverrentung , erhöht die Produktivität von Frauen und von Menschen aus anderen Ländern , bereitet auf neue Anforderungen in den Tätigkeitsstrukturen vor und unterstützt damit auch den zwingend erforderlichen sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft .
■ DAS GESPRÄCH FÜHRTE CHRISTINE WERNER