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1 / 2022 // LEOPOLDINA / NEWSLETTER 11

Perspektiven für eine wissenschaftsbasierte Regulierung genomeditierter Pflanzen

Leopoldina-Mitglied Ralph Bock und Jurist Hans-Georg Dederer zur Wirkung der Stellungnahme von 2019
In ihrer Stellungnahme von 2019 plädiert die Leopoldina gemeinsam mit der Akademienunion und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ( DFG ) dafür , bestimmte genomeditierte Pflanzen vom rigiden Regelwerk der Europäischen Union ( EU ) für gentechnisch veränderte Organismen auszunehmen . Nun hat die Europäische Kommission einen entsprechenden Gesetzgebungsprozess eingeleitet .
VON RALPH BOCK ML UND HANS-GEORG DEDERER *

In der EU sind gentechnisch veränderte Organismen ( GVO ) restriktiv reguliert . Das hat dazu geführt , dass die Grüne Gentechnik in Europa praktisch zum Erliegen gekommen ist . Selbst Forschung und Entwicklung in diesem Bereich sind weitgehend aus Europa abgewandert . Ein ähnliches Schicksal ist für die neuen Züchtungsverfahren der Genomeditierung zu befürchten . Diese Verfahren können ohne das Einbringen fremder Gene auskommen und neue Pflanzensorten erzeugen , die von klassischen Züchtungen nicht mehr unterscheidbar sind .

Aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 25 . Juli 2018 folgt jedoch , dass auch genomeditierte Pflanzen GVO sind und damit unter den rigiden Rechtsrahmen der EU fallen . Eine von der Leopoldina federführend eingesetzte Arbeitsgruppe griff die Problematik auf und erarbeitete innerhalb eines Jahres eine Stellungnahme zur Genomeditierung bei Pflanzen . Darin formuliert sie dringlichen , wissenschaftlich begründeten , politischen , vor allem gesetzgeberischen Handlungsbedarf . Dazu zählt die kurzfristige Novellierung des europäischen GVO-Rechtsrahmens .
Die Stellungnahme fand in Wissenschaft und Politik ein breites Echo , auch
Ralph Bock ML
Molekularbiologe und Direktor am Max-
Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam
Foto : MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie
auf Ebene der EU . Es kam zu Expertengesprächen mit Abgeordneten aus den Landtagen , dem Deutschen Bundestag und dem Europäischen Parlament .
Für weitere politische Breitenwirkung sorgte eine von DFG und Leopoldina im Herbst 2020 veranstaltete internationale Tagung , die sich auch an die politischen Entscheidungsträger auf europäischer Ebene richtete . Dort wurden die Stellungnahme und ihre Empfehlungen in Gegenwart von Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie hochrangigen Kommissionsmitarbeitern und Vertretern nationaler Behörden zur Diskussion gestellt .
Eine im April 2021 veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission zu neuartigen Züchtungstechniken bestätigte im Wesentlichen die Einschätzungen der Arbeitsgruppe . Schlüsselfrage sei , so die Kommission , ob die aktuelle Gesetzgebung noch zweckmäßig sei oder der Novellierung bedürfe . In einem nachfolgenden Expertengespräch auf Abteilungsleitungsebene im Bundeslandwirtschaftsministerium diskutierten Mitglieder der Arbeitsgruppe die Kommissionsstudie im Lichte der Stellungnahme von 2019 .
Hans-Georg Dederer
Professor an der Universität Passau . Der Jurist befasst sich unter anderem mit
europäischem Wirtschaftsrecht .
Foto : Universität Passau
Auf Einladung des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments und in Gegenwart von Beamtinnen und Beamten der Kommission präsentierten Mitglieder der Arbeitsgruppe im November 2021 die zentralen Punkte der Stellungnahme und stellten sich unmittelbar den Fragen der Europaabgeordneten . Kurz zuvor hatte die Kommission bereits den Gesetzgebungsprozess zur Änderung des GVO-Rechtsrahmens mit einer sogenannten „ Folgenabschätzung in der Anfangsphase “ eingeleitet .
Im zweiten Quartal 2022 wird die Kommission eine weitere öffentliche Konsultation durchführen , bevor sie ein Jahr später einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag zu unterbreiten beabsichtigt .
* Ralph Bock ML und Hans-Georg Dederer sind Mitglieder der Arbeitsgruppe „ Genomeditierte Pflanzen “ von Leopoldina , Akademienunion und DFG .
Stellungnahme „ Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU “